Tolle Platte, aber ich habe den Eindruck, man muss in einer
bestimmten Gemütsverfassung sein, um ihren Power-Glam-Blues mit Gewinn
zu hören. Zum Beispiel wenn man Tatendrang verspürt, Dinge zu machen, die man gerne
macht, nachdem man Dinge erledigt hat, die man nicht so gerne macht. Dann allerdings kann man sich auf 11 interessante und
kurzweilige Variationen freuen.
Ach, würde ich doch auch so zu einem Meeting gerufen werden. Ein zarter Chor säuselt "Meeting ... Meeting ... Meeting", dann:
"Ahrensfeld, zum Moorglade kommen, bitte. Zieh' die feinste Seide in
den schillerndsten Farben an, du zerbrechliches Geschöpf!"
"Geht los."
Ist alles nur möglich, weil ich Jon Andersons Gesang nicht nur zu
tolerieren lernte, sondern wirklich zu schätzen. So kann ich denn auch
in seinem beknackten Fantasy-Eso-Konzept "Olias of Sunhillow" von 1976
baden und es mir zum Großwerk verklären. Kann man aber auch wirklich gut
hören in diesen Zeiten, seit die Synthieflächen aus Prog und Kraut und
Ash-Ra Tempel in Form von Ariel Pink und dieser ganzen hypnagogischen
Blase wieder ins Heute gefiltert worden sind.
Jon Anderson spielt übrigens alle Instrumente und das elektronische
Brimborium selbst. Erst danach wagte er, die Berufsbezeichnung "Musiker"
im Pass zu führen. Im Moment werkelt er an einer Fortsetzung von "Olias
of Sunhillow".
Singt wie John Lennon, spielt wie Townshend oder andere Rüpelgitarristen
der Ära, aufgewachsen mit Sonic Youth. Es ist nicht immer schlecht, die
60er vor sich herzutragen, auch wenn man 20 Jahre später geboren wurde.
Auf der Rückseite sind zwei Pudel verewigt, die einen vielleicht unorthodoxen Anti-Pudel-Schnitt haben, der aber viel besser aussieht als der normale Pudel-Schnitt. Im Inlay ist noch ein Schnauzer abgebildet. Kann aber kein Bild davon
finden.
Tuxedomoon ereichten ihren zersetzenden Proto-Gothic mit elektronischen
dezenten Ennervierungen, verfremdeter Violine, Saxophon-in-Gut,
überspannter Stimme, Bass und klappriger Beat Box. Ich behaupte, alles
was sie bis 1980 machten, war Gold, danach stiegen sie weiter ab auf
Silber und Bronze. Kurz danach verlor ich sie aus den Ohren. Scream With
A View ist von 1979.
Ein dreibeiniger Hund hat starken Symbolwert. Er steht für großen
Überlebenswillen in einer ungerechten Welt. Und auch ein wenig Mitleid
schwingt beim Betrachter mit. Also genau das richtige Bild für die zähen
Burschen von The Cruel Sea, bei denen auch Tex Perkins eins ums andere Mal
mitmischte.
So auch auf "Three Legged Dog", einer Cruel-Sea-typischen
Ansammlung von Surfsongs, Nicht-ganz-so-grimmig-Blues und Angedubbtem.
Höhepunkt ist der funky Hardrock-Schlepper "Better Get A Lawyer", wo
Perkins eine offensichtlich selbst erlebte (Drogen?)-Geschichte zum
Besten gibt, in dessen Verlauf ihm ein Polizist den 1000mal gehörten Rat
gibt: "Better getta lawyer, son, better get a REAL good one!" Im
Booklet zeugt ein tolles Bild von den Vorkommnissen, es sieht sogar echt
aus (ist es aber nicht). Alben von Cruel Sea gehen in Australien Platin, las ich mal.
Wenn man nach dem Cover von "Pacific Ocean Blue"
googelt, sieht einen der bärtige Dennis Wilson in den vielen
Vervielfältigungen noch wunder an als ohnehin schon. Im Vergleich zu
den perfekt ineinander verschränkten Stimmen, mit denen die Beach
Boys Illusionen eines mythischen, grenzpubertären Kaliforniens
heraufbeschwören, wirkt Dennis Wilsons Stimme auf "Pacific
Ocean Blue" heiser und dünn. Man merkt ihm das
Erwachsen-Geworden-Sein an. Man ahnt auch, hier hilft kein Schluck
Wasser, um den trockenen Hals wieder feucht zu bekommen. Und das
Schichten seiner Stimme mit noch mehr Stimmen- mit seinen, mit
anderen - hilft auch nicht. Er wird nur immer einsamer werden, je
mehr er sich damit umgibt. Den Bombast vom "River Song"
habe ich gehasst, bis er mich mal mit voller Wucht traf. Die letzte
wirklich erschütternd gute Platte, die aus dem Umfeld der Wilsons
hervorgegangen ist.
Die Peaking Lights - hinter
dessen Namen sich ein freundliches, junges Paar verbirgt, das im
heimischen Studio an elektronischen Geräten und antiken Beatboxen
werkelt, über die Sängerin Indra Dunis dann schön verhangen die Vorzüge
der kalifornischen Sonne preist - waren im vorletzten Jahr irgendwie
mehr im Bewusstsein popkultureller Betrachtungen als im Jahr darauf.
Das
lag vorwiegend am Hypnagogic-Hype, also jener vorwiegend elektronisch
behandelten Musik, die sich alter 1920er-bis-1980er-Jahre-Ästhetiken
bediente, um sie dann qua aktueller Filtersoftware mit soviel
künstlicher Erinnerungspatina zu belegen, bis sie in der Zeit angelangt
war, in der sie entstand - nämlich um die Jahrzehntwende der 2010er
Jahre.
Mit "Lucifer" von 2012 aber konnte dann das ein oder andere Online-/Magazin nicht mehr viel anfangen. Man rang sich vielleicht mal eine
recht freundliche Kritik ab oder verriss gleich das ganze Album (WIRE).
In diversen Jahrescharts tauchten die Peaking Lights nicht mehr auf,
und auch ich konnte mit "Lucifer" erst nicht so richtig warm werden. Zu
zahm schien es mir, zu glückselig blubberte sein Dub vor sich hin.
Dann
aber hat's irgendwann gefunkt, und ich konnte die rumpelnde Melange aus
Beatbox-Geklapper, Keyboard und Lobpreisungen an den jungen Sohnemann
(Lucifer?) genießen wie einen Massagesessel. Kommt beonders gut, wenn
man "Lucifer" ganz durchhört, falls dafür deine Aufmerksamkeitsspanne
ausreicht, lieber Leser. Aber wenn du bis hier dem Text gefolgt bist,
bist du eigentlich schon qualifiziert.
Wenn es eine Band gibt, die den Geist alter amerikanischer Folk-Musik in
unwiderstehlich schleppendem Tempo weiterträgt, ohne in
Traditionalismen zu erstarren, dann ist das Califone
(es gibt auch noch ein paar andere, aber ich will mir meinen
Einleitungssatz nicht kaputt machen). Dazu passt auch, dass sie
Filmmusik produzieren, denn die meisten Songs aus dem American Folksongbook
sind ebenfalls durch hundertausend Lupen und Linsen veränderte
Blickwinkel auf Szenen und Geschichten. Das Drehbuch des Alten Amerika
ist um ein paar Settings reicher mit "All My Friends Are Funeral Singers".